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Ymelda Juliewna Mentelberg (1891–19XX)
Tänzerin, Malerin, Anthroposophin
Die Tänzerin Ymelda Juliewna, heute so gut wie vergessen, ist tanzhistorisch mit den beiden bedeutendsten frühen Protagonist:innen des deutschen Ausdrucktanzes verbunden: Rudolf von Laban und Mary Wigman. Auf dem Monte Verità hatte sich Wigman im Sommer 1913 Laban angeschlossen. Als Schülerin, tänzerisches Versuchskaninchen in Theorie und Praxis, bald seine Assistentin, folgte sie Laban im Herbst 1913 nach München und unterrichtete in dessen Schule, als Laban krank war. Auch Ymelda Juliewna zählte in München zu Labans (überschaubarer) Schar von Schüler:innen.
Über die 1891 geborene Tänzerin mit dem Künstlernamen Ymelda Juliewna (bürgerlicher Nachname: Mentelberg bzw. Hamann-Mentelberg) ist wenig bekannt. Sie war als Malerin aktiv und widmete sich der Theosophie.1 Zum Tanz fand sie durch das Gastspiel von Ruth St. Denis im Gärtnerplatztheater 1908. Sie studierte Gesang sowie Zeichnung und Malerei an der Debschitzschule. Als Schülerin Labans ist sie mit abgebildet in der ersten Buchpublikation, die Laban in Text und Bildern vorstellt: »Körperbildung als Kunst und Pflicht« von Fritz Winther.2 Auch tanzte sie wie Wigman und andere bei den von Laban choreographierten Faschingsfesten »Hexentanz« und »Ein Tag im Hain des Äskulap« Ende Januar 1914 im Kolosseum.

Karl Weysel, Betty Baaron Samoa, Ymelda Juliewna, Mary Wigman und Johann Adam Meisenbach (oben, von links) in einer von Laban choreographierten Gruppen-Pose. Reproduziert in dem Buch von Fritz Winther (1914) | © Munich Dance Histories
Laban veranstaltete im Museumssaal im Porcia-Palais in München am 26. Januar und 14. Februar 1914 Demonstrationsabende seiner Schule vor Publikum. An denen war Imelda Juliewna beteiligt – und es ist ihr mit zu verdanken, dass Mary Wigman damals ihr Debüt als Choreographin feierte: Ymelda Juliewna wollte einen Solotanzabend geben (Laban hatte für sie choreographiert), hatte aber nicht ausreichend Programm dafür und bat Wigman, zwei ihrer (bisher noch nicht öffentlich gezeigten) Tanzstudien beizusteuern, so berichtet Hedwig Müller in ihrer grundlegenden Wigman-Biographie.3 Das Geld für die Tanzkostüme verdiente Wigman sich als Choreographin in einem Varieté, und die teuren Stoffe gingen in die Tanzgeschichte ein: die »langen Meter silbergrauer Seide für das knöchellange, fließende Kleid des ›Lento‹ und die rotbraune Seide für Umhang und Kapuze des beinfreien Kostüms vom ›Hexentanz‹«. Bei dieser Geburtsstunde des Ausdruckstanzes standen also beide auf dem Programmzettel, und beide neuen Tanzkünstlerinnen wurden auch durch die Tanzkritiker (im Publikum saßen unter anderen Rudolf von Delius und Hans Brandenburg, die Wigmans Karriere von Beginn an begleiten sollten) in den öffentlichen Diskurs gebracht. »Ymelda Juliewnas Körper ist bewegungskünstlerisch fast noch besser durchgearbeitet und geeigneter als der Mary Wiegmanns, aber diese ist ihr an mimisch-dramatischer Ausdruckfähigkeit überlegen«, so der Feuilletonchef der »Münchner Neuesten Nachrichten«4. Wigman selbst resümierte: »Während die makellose Interpretation der Labanschen Choreographie durch die bildschöne Interpretin nur schwachen Beifall erhielt, rasselte es wie ein Trommelfeuer auf mein Leto und den Hexentanz herunter. Ich war völlig benommen, konnte mich nicht einmal an diesem unerwarteten Erfolg freuen, sondern kam mir eine Verräterin an der Partnerin vor, der ich, statt zu helfen, eher geschadet hatte.«5
Um ihre Kunst auch durch Bilder und Bildpublikationen bekannt zu machen, ließen sich beide auch fotografieren. Wigman machte Aufnahme-Serien mit Hanns Holdt von »Lento« und vom »Hexentanz«; die spätere »Hexentanz«-Sprungaufnahme des Dresdener Fotografen Hugo Erfurth ist eine frühe Ikone der Tanzphotographie. Ymelda Juliewna ließ sich zum Karrierestart im Atelier Veritas der Münchner Fotografin Stephanie Held-Ludwig Postkarten anfertigen.6 Auch mit dem Tanzfotografie-Spezialisten Hugo Erfurt, der schon ab ca. 1908 als erster Tanzende in Bewegung im Atelier inszenierte, machte sie Aufnahmen. Eine Sprungfotografie, mit fliegende langen Haaren, ist im Schlagstempel des Abzugs 1918 datiert und in »Der Tanz als Kunstwerk« von Frank Thiess reproduziert. (ImVerzeichnis der Bildtafeln ist sie »Ymelda Mentelberg« benannt, auf der Abbildung selbst hingegen»Ymelda Mendelberg«, so wie dann durchgängig in den folgenden Auflagen.7). Anzumerken ist, dass Thiess sie im Text – im Gegensatz zu Prominenten wie Sent M’ahesa, Niddy Impekoven oder Valeska Gert – nicht erwähnt.
In Stockholm studierte Mentelberg bei der »berühmten Primadonna und Plastiklehrerin Signe Hebbe«, deren Methode sie »als einzige in Deutschland« in München in ihrer eigenen »Schule für künstlerische, durchseelte Bühnenbewegung« lehrte.8 Unterricht »für Bühnenkünstlerinnen und Bildhauerinnen« gab sie spätestens seit 1915 »in Körperplastik und Kultur, rhythm. u. metrischer Gymnastik, Tanz, Atmung und Stimmbildung auf psychologischer Grundlage«.9
Eigene Soloprogramme zeigte sie seit 1914. Bei der christlichen Esoterikerin Signe Svärdström studierte sie deren Bewegungs-Sprache. Eine Begegnung mit Rudolf Steiner führte sie zur Eurhythmie. 1917 präsentierte Ymelda H. Mentelberg in ihren Tanzabenden »Mystische und Symbolische Pantomimen und Darstellungen«10. Sie war diesem Jahr auf Deutschlandtournee, wie aus den zitierten Pressestimmen einer Annonce in den »Münchner neuesten Nachrichten« hervorgeht.11 Wobei ein Kritiker des Abends im Hotel Vier Jahreszeiten nichts von ihrer Vorkriegskarriere weiß, wenn er sie als »in München bisher nicht bekannte Pantomimistin und Tänzerin« bezeichnet; immerhin zollt er »dem akrobatisch geschulten Können der Tänzerin« Respekt: »Ein geschmeidiger Körper und sprechende Hände erreichen eine hohe Stufe der Ausdruckskultur.«12 Als »Ymelda H. Mentelborg« ist sie 1919 Teil des Programms eines von Andreas P. Scheller geleiteten Konzert- und Tanzabends im Hotel Vier Jahreszeiten – mit Kolleginnen von Claire Bauroff bis Edith von Schrenck.13 Auch in den 1920er Jahren ist sie als Tänzerin aktiv, eine Veranstaltung der Theatergemeinde München in der Tonhalle präsentiert 1925 »Der Tanz als seelisch-dramatische Ausdrucksform in Kultur und Oper« von Ymelda Mentelberg unter Begleitung des des Konzertvereinsorchesters (Leitung Kapellmeister Zwißler vom Münchner Staatstheater).14 Ein letztes Mal taucht in München ihr Name 1932 auf: als Mitglied eines neu gegründeten Ensembles, der »Interessengemeinschaft berufsmäßiger Bühnenkünstler«, wo sie im Lustspiel mit Gesang und Tanz »Alles, was recht ist …! (Zwei Herzen im Sechszylinder-Takt)« von J. Fahrenholz die Rolle der Tänzerin verkörpert.15 | TB
Ymelda Yuliewna | Foto: Atelier »Veritas«, München | Ansichtspostkarte (Heliogravüre) [o. J.] | Vertrieb: J. B. Obernetter, München | © Munich Dance Histories
Ymelda Yuliewna | Foto: Atelier »Veritas«, München | Ansichtspostkarte (Heliogravüre) [o. J.] | Vertrieb: J. B. Obernetter, München | © Munich Dance Histories
- Eine Publikation von Pflanzenmotiven und poetisch-esoterischen Texten, »Die heilige Botschaft der Blumen«, erschien 1985 im Aquamarin-Verlag Grafing/München. Hildegard Maria „Little Rose“ Lisa Frey war die amerikanische Übersetzerin und Herausgeberin von Hamann-Mentelberg (siehe https://obits.pennlive.com/us/obituaries/pennlive/name/hildegard-frey-obituary?id=14660727)
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Fritz Winther: »Körperbildung als Kunst und Pflicht«. Mit zwölf Zeichnungen von Hermann Gehri [Mit 80 photogr. Abb. auf Tafeln.]. Vorwort von Prof. Aug. Forel, München (Delphin Verlag Dr. Richard Landauer) 1914, 3. Tsd. 1914 [Zweite vermehrte Auflage 1915; Dritte verm. Aufl. 1919; Vierte verm. Aufl. 1920, Fünfte verm. Aufl. 1923). Abgebildet als Teil der choreographisch arrangierten Gruppenaufnahmen »Konzentriert bis ausladende Stellung« und »Tanz ohne Musik. Künstlerische Einteilung des Raumes«; alle »Schüler Laban von Varalja« sind nicht namentlich identifiziert. (Abb. 67/68 in Winther 1915, gegenüber S. 64)
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Hedwig Müller: »Mary Wigman. Leben und Werk der großen Tänzerin«. Weinheim und Berlin (Beltz) 1986, 3. unveränd. Aufl. 1992, S. 47 f.
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F[riedrich] M[öhl, rezension in »Münchner Neueste Nachrichten«, Jg. 67, Nr. 79 (13.2.1914), Vorabend-Blatt, S. 2.
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Zitiert nach Müller (1986), S. 48 (ohne Angabe der Quelle).
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»Echte Heliogravüre-Karte«, als Serie mehrerer Motive von J. B. Obernetter in München produziert (Bibl. Betz).
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Frank Thiess: »Der Tanz als Kunstwerk. Studien zu einer Ästhetik der Tanzkunst«. Mit 24 Kupfertafeln, München (Delphin-Verlag Dr. Richard Landauer) 1912 (Tafel 24 gegenüber S. 116); Zweite verb. Aufl. 6.–10. Tsd. 1920 [?] (Tafel 12 gegenüber S. 64); Dritte verb. Aufl. 11.–14. Tsd. 1923, ebd.
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Anzeige in »Münchner Neueste Nachrichten«, Jg. 69, Nr. 500 (1.10.1916), General-Anzeiger, S. 4.
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Annonce in »Münchner Neueste Nachrichten«, Jg. 68, Nr. 197 (18.4.1915), General-Anzeiger, S. 3. – Vielleicht durch einen Druckfehler firmiert sie als »Imelda Juliewna-Kamann« mit der Adresse Viktoriastr. 11/4.
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Programmheft im Deutschen Tanzarchiv Köln (Bestand 151; Objektnummer 26190).
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»Pantomimen-Abend Imelda H. Mentelberg« unter Mitwirkung von Konzertsängerin Elisabeth Hensel im Uniontheater am 21.9.1917, in »MNN«, Jg. 70, Nr. 455 (9.9.1917), S. 4.; ebenda Nr. 465 (16.9.1916), S. /
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Rezension von –l– in »Münchner Neueste Nachrichten«, Jg. 70, Nr. 480 (22.9.1917), Abend-Ausgabe, S. 3.
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Anzeige in »Münchner Neueste Nachrichten«, Jg. 72, Nr. 106 (6.3.1919), Abend-Ausgabe, S. 3.
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Ankündigung in »Münchner Neueste Nachrichten«, Jg. 78, Nr. 6 (7.1.1925), General-Anzeiger, S. 1.
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Meldung (signiert: s.) in »Münchner Neueste Nachrichten«, Jg. 85, Nr. 17 (19.1.1932), Abend-Ausgabe, S. 2.