Die 2019 für das Festival DANCE entwickelte »DANCE History Tour« (2020 auch bei der Tanzplattform Deutschland durchgeführt; 2021 coronabedingt als Film realisiert) führt zu wichtigen Schauplätzen dieser vielfältigen Tanzgeschichte. Wissenschaftler:innen und Tanzschaffende vermitteln live im Dialog tanz- und kulturhistorische Kontexte; auch werden Dokumente und Live-Tanz präsentiert.
DANCE History Tour 2019
Mit dem Fahrrad zu Personen und Orten der Münchner Tanzgeschichte (1900–1919)
Ein Parcours mit dem Fahrrad zu Orten, die mit der frühen Tanzmoderne Münchens verbunden sind. Dies ist ein neues Format für das DANCE Festival. Es nimmt die Idee eines Archivs in Bewegung wörtlich und wird für die Teilnehmer:innen zu einem Stadtraumerlebnis der besonderen Art. Der Weg führt zu Museen, Plätzen und einstigen Aufführungsorten wie beispielsweise dem Münchner Künstlerhaus, dem Palais Portia oder den Münchner Kammerspielen. Die Rolle, die München als eine der wichtigen Geburtsstätten des freien Tanzes zu Beginn des 20. Jahrhunderts bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs spielte wird deutlich. Im Mittelpunkt stehen wichtige Ereignisse, Aufführungen, Begegnungen mit Künstlern und Literaten wie auch spektakuläre Auftritte, die zensiert wurden und dies ergänzt mit Anekdoten. Die Verbundenheit mit der Kunstwelt zeigt sich in den zahlreichen Portraits damaliger Tanzstars von Franz von Stuck, Franz von Lenbach, Gabriel von Max oder Wilhelm von Kaulbach und den Mitgliedern des Blauen Reiters. Im Städtischen Museum im Lenbachhaus hängt beispielsweise ein Bild von Alexander Sacharoff gemalt von Alexej Jawlensky (als große Reproduktion auch in der U-Bahn Haltestelle Königsplatz).
Die Touren werden von Studierenden der Theaterwissenschaft München geleitet und mit kurzen Vorträgen, Besichtigungen und kleinen Interaktionen gestaltet.
Idee: Brygida Ochaim
Konzept, Text und Recherche: Brygida Ochaim, Thomas Betz
Projektleitung: Gina Penzkofer
Dauer: ca. 2,5 Stunden
Preis: € 15 / erm. € 10 inkl. Gebühren
Artist Talk beim Symposium am 18. Mai
DANCE History Tour wird im Auftrag von DANCE – internationales Festival für zeitgenössischen Tanz in München von Brygida Ochaim und Thomas Betz in Kooperation mit folgenden Institutionen realisiert: Münchner Künstlerhaus, Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München, Münchner Kammerspiele, Museum Villa Stuck, Institut für Theaterwissenschaft
Was kann man sich unter der »Dance History Tour« vorstellen?
Wo führt sie hin?
Und warum fährt man Fahrrad?
Hier finden Sie einen Überblick über die Stationen der »DANCE History Tour« 2019/2021.
1 KÜNSTLERHAUS
LENBACHPLATZ 1
(BIS 1905: BACHSTRASSE)
Im 1901 erbauen Künstlerhaus, dem prunkvollen Vereinsheim der Münchener Künstlergenossenschaft, gab Isadora Duncan 1902 ihr erstes Gastspiel in Deutschland. Damit begann hierzulande die Entwicklung des modernen Tanzes. Im Künstlerhaus debütierten auch die Münchner Tänzerinnen Rita Sacchetto (1905) und Sent M’ahesa (1909).
2 Palais Schrenck-Notzing
MAX-JOSEPH-STRASSE 9
(FRÜHER: NR. 3)
Das 1904–1906 erbaute Palais Schrenck-Notzing enthielt auch die Praxisräume des Arztes und Parapsychologen Albert Freiherr von Schrenck-Notzing. Der lud 1904 die Pariser »Schlaftänzerin« Magdeleine Guipet (Madeleine G.) nach München ein und organisierte ihre Aufsehen erregenden Auftritte im Schauspielhaus.
3 Kaim-Saal / Tonhalle
TÜRKENSTRASSE 5
ECKE PRINZ-LUDWIG-STRASSE
Das von dem Konzertveranstalter Franz Kaim in Auftrag gegebene Konzerthaus wurde 1905 in Tonhalle umbenannt. In den diversen Sälen des Gebäudes traten u.a. Alexander Sacharoff, auch im Duo mit Clotilde von Derp, sowie Gertrud Leistikow auf; hier präsentierte 1913 Rudolf Steiner die weltweit erste Eurythmie-Vorführung. Im Kleinen Kaim-Saal gaben die Schwestern Margaret Delius-Rice und Ethel Rice »Turn- und Tanzkurse«, zu deren Schüler*innen Clotilde von Derp zählte.
4 Unionssaal
BARER STRASSE 7
Das 1907/08 erbaute Hotel Union war Eigentum des Katholischen Kasinos. Im rückwärtigen Gebäude befand sich der große Unionssaal mit einer modern ausgestatteten Theaterbühne. Hier debütierte im April 1910 die 17-jährige Münchnerin Clotilde von Derp, die erste Vertreterin des Ausdruckstanzes im »Stil einer neuen Zeit«, und trat hier bis 1912 noch öfter auf.
5 Glyptothek
KÖNIGSPLATZ 3
Leo von Klenze, der Privatarchitekt Ludwig I., entwarf 1826–1830 die Glyptothek am Königsplatz, Münchens erste öffentliche Sammlung und das einzige Museum weltweit, das ausschließlich der antiken Skulptur gewidmet ist. Nicht nur in Isar-Athen fungierte die griechische Antike als Bildungsideal. Für ihren »Tanz der Zukunft« ließ sich Isadora Duncan speziell von antiken Skulpturen und Vasenbildern inspirieren und besuchte bei ihrem München-Gastspiel 1902 die Glyptothek, ebenso wie 1908 die Tänzerin Ruth St. Denis.
6 Lenbachhaus
LUISENSTRASSE 33
Der als Porträtmaler höchst erfolgreiche »Münchner Künstlerfürst« Franz von Lenbach ließ sich von Gabriel von Seidl 1887–1890 ein Ateliergebäude und eine repräsentative Villa direkt an der Prachtroute Brienner Straße und dem Königsplatz errichten. 1899 lud er die Cancan-Tänzerin Saharet ein, um sie zu malen. Ein Schwerpunkt der Städtischen Galerie im Lenbachhaus ist dem Umkreis des »Blauen Reiter« gewidmet, zu dem auch der Tänzer Alexander Sacharoff zählt.
Sabrina Kanthak und Alexandra Schildhauer im Lenbachhaus | © Munich Dance Histories
7 Odeon
ODEONSPLATZ 3,
AN DER LUDWIGSTRASSE
Das 1828 eröffnete Königliche Odeon des Architekten Leo von Klenze wurde als Konzert- und Ballsaal genutzt und war Sitz der Musikhochschule, bis es 1944 durch Bomben zerstört wurde. Die Säulenordnung des ehemaligen Konzertsaals im ersten Stock schmückt seit dem Wiederaufbau 1954 den Innenhof des Bayerischen Innenministeriums. Im Odeon trat im Juni 1910 der Tänzer Alexander Sacharoff vor die Öffentlichkeit, der erste männliche Protagonist des modernen Tanzes.
8 Kunst-Salon Littauer
ODEONSPLATZ 2
Der Kunst-Salon Littauer mit seinen elf Schaufenstern am Odeonsplatz präsentierte Kunst, Reproduktionen und edles Kunsthandwerk. Hier hatte 1896 der Designer Hermann Obrist mit abstrakten Stickereien in München den Jugendstil eingeläutet. Neben Kunstbüchern und Buchkunst gab es auch Fotografien zu erwerben: Porträts der königlichen Familie und Rollenbilder von Hofschauspielern oder gastierenden Stars. Der junge Dichter Hans Brandenburg kaufte hier 1908 die Fotoserie der Schwestern Wiesenthal und begann damit seine Karriere als Tanzpublizist.
9 Deutsches Theatermuseum
GALERIESTRASSE 4A / HOFGARTENARKADEN
Die berühmte Münchner Schauspielerin Clara Ziegler stiftete 1909 ihre Villa am Englischen Garten, ihr Vermögen und ihre eigene Sammlung zur Einrichtung eines Theatermuseums. Das wurde 1910 eröffnet, und 1953 zog die Clara- Ziegler-Stiftung in den Galerietrakt am Hofgarten. Zu den bedeutenden Sammlungsbeständen des staatlichen Deutschen Theatermuseums zählen auch weit über 4 Millionen Theaterfotografien, darunter das Archiv von Hanns Holdt, der ab 1912 fast alle Tänzer:innen des modernen Tanzes in München fotografierte.
Sabrina Kanthak und Alexandra Schildhauer zum Deutschen Theatermuseum und zur Tanzfotografie | © Munich Dance Histories
10 Vereinigte Werkstätten für Kunst im Handwerk
ODEONSPLATZ 1, EINGANG BRIENNERSTRASSE
In den Vereinigten Werkstätten für Kunst im Handwerk, Münchens avanciertester Design-Firma mit Verkaufs- und Showroom Ecke Brienner Straße / Odeonsplatz waren vor Clotilde von Derps Debüt 1910 speziell für ihren »freien Tanz« angefertigte Reform-Tanzkleider ausgestellt: kurzärmelig oder ärmellos, mit nur knielangen oder für freien Schwung locker bis zu den Füßen fallenden Röcken.
11 Palais Portia / Museum
KARDINAL-FAULHABER-STR. 12
(FRÜHER PROMENADESTRASSE)
Interessant ist das Barockpalais durch seine Baugeschichte (seit 1693) und ebenso durch seine Besitzer:innen und Bewohner:innen. Das Haus wurde 1944 durch Bomben zerstört; nur die von François de Cuvillies umgestaltete Rokokofassade (1737) blieb erhalten. Für die literarisch-musikalische Gesellschaft »Museum« hatte Leo von Klenze 1819/20 einen kleinen und einen großen Saal eingebaut, Münchens ersten öffentlichen Konzertsaal. Zugleich ist das im 19. Jahrhundert Museum benannte Palais eine der Geburtsstätten des modernen Tanzes. Rudolf von Laban veranstaltete hier 1914 Demonstrationsabende seiner Schule; dabei trat Mary Wigman zum ersten Mal als Tänzerin und Choreographin an die Öffentlichkeit.
12 Hotel Bayerischer Hof
PROMENADEPLATZ 2–6
(FRÜHER Nr. 19)
Auf Wunsch Ludwigs I. von dem Industriellen Joseph Anton von Maffei und nach Plänen Friedrich von Gärtners 1841 erbaut, ist das Hotel Bayerischer Hof das älteste Luxushotel Münchens. Hier stiegen Staatsgäste und Prominente ab, so auch seit 1902 Isadora Duncan. Studenten standen oft stundenlang singend unter ihrem Hotelfenster und hörten nicht eher auf, bevor sie sich nicht zeigte und ihnen Blumen oder Taschentücher zuwarf – ähnlich wie später bei Michael Jackson.
13 Residenztheater
MAX-JOSEPH-PLATZ 1
An der Stelle des heutigen Neuen Residenztheaters (1951) am Max Joseph-Platz ließ der Kurfürst von seinem Hofbaumeister François de Cuvilliés 1751–1753 ein Opernhaus errichten, das 1944 von Bomben zerstört wurde. Als erstes Theater wurde es 1896 mit einer Drehbühne ausgestattet. Hier gastierte 1902 die japanische Tänzerin Sada Yacco mit ihrem Ensemble. 1913 tanzte Clotilde von Derp die Rolle des Küchenjungen und des Schneidergesellen in Richard Strauss’ Ballettkomödie »Der Bürger als Edelmann«.
14 Nationaltheater
MAX-JOSEPH-PLATZ 2
Neben dem alten Residenztheater mit seinen nur 560 Plätzen wurde ab 1811 das neue Königliche Hof- und Nationaltheater erbaut. Nach zwei Bränden vollendete Leo von Klenze 1825 den klassizistischen Bau. 1884–1917 war Flora Jungmann hier tätig, als Tänzerin und Ballettmeisterin. 1901 wagte sie ein Experiment, das Tanzspiel »Pan im Busch« von Otto Julius Bierbaum. Bei Jungmann an der Münchner Ballettschule studiert hatte der später in München 1917–1930 tätige Ballettmeister und Choreograph Heinrich Kröller, ein Reformer des Balletts.
15 Bonbonniere
NEUTURMSTRASSE 5
Das vornehme, mondän ausgestattete Kabarett-Theater befand sich in der Neuturmstraße 5 am Kosttor. Es wurde 1910 vom Theaterregisseur Emil Meßthaler (1869–1927), einem Freund und Förderer Frank Wedekinds, und der Schauspielerin und Chansonette Gussy Holl (1888–1966) gegründet. Bereits ein Jahr später gaben sie es wieder auf und verkauften es an den Gastronomen Hans Gruß, der es zu einem der bekanntesten Künstlerkabaretts machte. Erste Erfolge feierten hier Joachim von Seewitz und Valeska Gert mit ihren Tanzauftritten. Der Maler und Illustrator Walter Schnackenberg schuf mehrere Plakate.
Sabrina Kanthak und Alexandra Schildhauer im Gespräch mit Brygida Ochaim über die Bonbonniere und die Auftritte der Tänzerin Valeska Gert | © Munich Dance Histories
16 Schauspielhaus / Kammerspiele
MAXIMILIANSTR. 26–28
Auf der Rückseite bzw. im Garten des 1869–1871 von Friedrich Bürklein erbauten Doppelmietshauses an der Maximilianstraße errichtete Max Littmann 1901 das Schauspielhaus, das der Designer Richard Riemerschmid im Jugendstil ausstattete. In diesem der modernen Dramatik gewidmeten Theater fanden auch Aufsehen erregende Tanz-Gastspiele statt: Die Psychologische Gesellschaft präsentierte 1904, kuratiert/ unter Regie von Albert Freiherr von Schrenck-Notzing, die »Traumtänzerin« Magdeleine G., auch der amtlich verbotene Auftritt der kanadisch- amerikanischen Tänzerin Maud Allan mit »The Vision of Salome« konnte 1907 nur in geschlossener Gesellschaft gezeigt werden. 1926 zogen die Kammerspiele in das Haus.
Sabrina Kanthak und Alexandra Schildhauer führen durch das Schauspielhaus | © Munich Dance Histories
17 Hotel Vier Jahreszeiten
MAXIMILIANSTRASSE 17
(FRÜHER NR. 4)
Das ursprünglich als Wohnhaus errichtete Gebäude wurde 1858 zum Hotel umgebaut. Das imposante und luxuriöse Hotel zu den vier Jahreszeiten zählt seither zu den besten Häusern Münchens und Deutschlands. Hier begann Mary Wigman im September 1919 ihre erste Deutschlandtournee.
18 Labans Wohnung
MAXIMILIANSTRASSE 46
(FRÜHER NR. 24)
Der stilistisch einheitliche Boulevard der Maximilianstraße, heute Münchens Luxusmeile, wurde 1854–1864 von Friedrich Bürklein gebaut. In der Maximilianstraße 24, vierter Stock, (heute: Hausnummer 46) wohnte mit seiner Familie Rudolf von Laban, der Pionier des modernen Tanzes in Theorie und Praxis.
19 Villa Stuck
PRINZREGENTENSTRASSE 60
(FRÜHER: ÄUSSERE PRINZREGENTENSTR. 4)
Auf dem Isarhochufer schuf sich Franz von Stuck 1897/1898 seine Künstlervilla als bis ins letzte Detail durchgestaltetes Gesamtkunstwerk, in »modernem« Design und antikisch-symbolistischer Ästhetik. Hier erläuterte und demonstrierte 1902 Isadora Duncan in Stucks Atelier ihre Tanzkunst, bevor sie im Künstlerhaus auftreten durfte. Stuck seinerseits feierte als Künstler die Vitalität des Tanzes und fotografierte seine Tochter Mary Stuck als Tänzerin.
Sabrina Kanthak und Alexandra Schildhauer in der Villa Stuck | © Munich Dance Histories
20 Monacensia im Hildebrandhaus
MARIA-THERESIA-STRASSE 23
Das Gebäude wurde 1898 von dem Münchner Stararchitekten und Bauunternehmer Gabriel von Seidl für den berühmten Bildhauer Adolf von Hildebrand erbaut, nach dessen eigenen Plänen. Seit 1977 ist es die Heimstatt der Monacensia. Diese Institution der Münchner Stadtbibliothek birgt eine umfassende Bibliothek und Sammlung von Schriften aller Art über München sowie ein Literaturarchiv mit Manuskripten und Nachlässen Münchner Autor:innen, darunter der Nachlass des Tanzpublizisten Hans Brandenburg.
Sabrina Kanthak und Alexandra Schildhauer führen durch die Monacensia | © Munich Dance Histories